Politische Bildung in der Theodor-Heuss-Akademie –
Tradition, Programme und Ziele

 

 

Dr. Karl-Heinz Hense

 

Bereichsleiter Politische Bildung und Begabtenförderung,
Leiter der Theodor-Heuss-Akademie

 

 

Als die Theodor-Heuss-Akademie in Gummersbacham 26. Mai 1967 feierlich eröffnet wurde, war ihre inhaltliche Arbeit bereits
eingebettet in konzeptionelle Vorgaben, die Vorstand und Kuratorium der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Veranstaltungsprogramme der seit 1958 bestehenden liberalen
politischen Bildung in Deutschland formuliert hatten. Mehr noch: Die Vorstellungen der Gründerinnen und Gründer fußten – bewusst oder unbewusst – auf der Konzeption der „Erziehung zur Politik“, die Friedrich Naumann und sein Schüler Theodor Heuss schon
1919 der Errichtung der „Deutschen Hochschule für Politik“
zugrundegelegt hatten. Heuss war nicht der einzige, der in
den fünfziger Jahren die Etablierung der Friedrich-Naumann-
Stiftung mit Nachdruck betrieben hat – die Verknüpfung der
Stiftungsarbeit mit dem Namen seines verehrten Lehrers und
mit dessen Ideen gehen indessen ursächlich auf seine Initiative
und sein liberales Denken zurück.

 

Friedrich Naumann hatte kurz vor seinem Tod im Jahr 1919 die „Deutsche Hochschule für Politik“ in Berlin als eine
Staatsbürgerschule gegründet, die sich im wesentlichen vier
Aufgabenbereichen widmen sollte:
- Heranbildung einer liberaldemokratisch orientierten politischen
Elite;
- eine spezifische politische Ausbildung der mittleren und
hohen Ministerialbürokratie;
- eine an der Weimarer Republik orientierte staatsbürgerliche
Erziehung des „unpolitischen deutschen Volkes“;
- die Unterstützung neuzugründender Pädagogischer Akademien
im Geiste Wilhelm von Humboldts.
Bis zu ihrer Gleichschaltung durch die Nazis im Jahre 1933 verfolgte die von Ernst Jäckh geleitete Staatsbürgerschule diese Aufgaben mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen.

Theodor Heuss war einer der Professoren, die unmittelbar
nach der „Machtergreifung“ von den Handlangern der braunen Diktatur ihrer Ämter enthoben wurden. Die Absicht indessen, eine politische Wissenschaft zu etablieren, die der liberaldemokratischen Idee verpflichtet war, blieb lebendig. Dies zeigte sich, als nach dem Krieg die Hochschule vom späteren Westberliner Bürgermeister Otto Suhr neu gegründet und schließlich in das „Otto-Suhr-Institut“ der Freien Universität überführt wurde.

 

Gewiss kann man die Situation von 1967, als die Theodor-Heuss-Akademie eröffnet wurde, nicht mit der nach dem verlorenen Krieg im Jahre 1919 vergleichen. Liest man aber die Texte, die im
Zusammenhang mit der Gründung der Akademie geschrieben wurden, so stößt man immer wieder auf die pädagogischen Absichten, die schon Naumann und Heuss mit ihren Vorstellungen einer staatsbürgerlichen Erziehung verfolgt hatten. Nicht nur, dass man den Namen des 1963 verstorbenen ersten Bundespräsidenten
für die Akademie wählte, zeigt, wie sehr sich zum Beispiel die damaligen Stiftungsvorsitzenden Professor Walter Erbe und Professor Paul Luchtenberg mit den pädagogischen Konzepten von
Heuss identifizierten, auch fast alle überlieferten Zeugnisse der Gründerpersönlichkeiten spiegeln die Orientierung an dem großen liberalen Vorbild.


Theodor Heuss selbst hat auf der ersten öffentlichen
Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung am 14. November
1958 in Bad Godesberg einen Vortrag mit dem Titel
„Friedrich Naumanns Erbe“ gehalten, in dem er auch auf die
Aufgabenstellung der Stiftung im Geiste ihres Namensgebers
einging. Er beginnt mit dem berühmten Wort von der
„kontradiktorischen Klärung schwebender Fragen“: „Als man
mir im Frühjahr den Gedanken vortrug, es möge im Rahmen
der Friedrich-Naumann-Stiftung die Möglichkeit geboten
werden zu historischer und zu grundsätzlicher Unterweisung
in den politischen Dingen, auch zur kontradiktorischen Klärung
schwebender Fragen, fand ich das sehr schön. Die letzte
Schrift des Mannes (…) trug den Titel: ‚Erziehung zur Politik’
und war etwas wie eine Programmarbeit für die ‚Staatsbürgerschule’.
Diesen Namen hatte er für ein sorgfältig überlegtes
Unternehmen gewählt – um (…) junge Menschen im
Rahmen der Demokratie geschickt und verantwortungsstark
zu machen.“ Und Heuss schließt seinen Vortrag mit dem Satz:
„Aber wenn hier in der Friedrich-Naumann-Stiftung gelehrt
werden wird, dann mag dies doch ein sonderliches Erbe sein,
dass dieser Mann, der in so großartiger Weise ein Lehrender
gewesen ist, immer ein Lernender vor den Wirklichkeiten
blieb, um sich ihnen in der Freiheit einer sittlichen Entscheidung
zu stellen.“
Friedrich Naumanns Grundanliegen, seine Vorstellung von
der Aufgabenstellung für eine liberale Politik des zwanzigsten
Jahrhunderts, die gleichzeitig den Mittelpunkt seiner pädagogischen
Bemühungen darstellt, ist trefflich formuliert in
einem Absatz aus Erhard Epplers Essay „Liberale und soziale
Demokratie – Zum politischen Erbe Friedrich Naumanns“:
„Was der ältere Liberalismus im Staat erreichte, soll der neuere
in Wirtschaft und Gesellschaft durchsetzen: Freiheit des
Bürgers gegenüber denen, die in irgendeiner Weise Macht
haben und ausüben; ein gesicherter freier Raum, in dem der
Einzelne sich als Glied der Gemeinschaft entfalten kann.“
„Aus Industrieuntertanen sollen Industriebürger werden“,
so hatte Naumann selbst es formuliert. In der Stiftungsurkunde
von 1958 heißt es dann: „Das Gedankengut, das
Friedrich Naumann der Nachwelt hinterlassen hat, wird im
Bereich des politischen Lebens unabhängig vom Wandel der
Zeiten seinen Wert behalten. In dem Bestreben, dieses Ge-
dankengut dem deutschen Volk nahezubringen und dadurch
zur Stärkung der liberalen, sozialen und nationalen Ideen beizutragen,
wird die Friedrich-Naumann-Stiftung errichtet.“
Werner Stephan, der erste Geschäftsführer
der Stiftung, berichtet
über die Vorüberlegungen zu ihrer
Gründung: „Man war sich jedoch bald
darüber klar, dass die Information
von Parteifunktionären, Parlamentskandidaten,
Gemeindevertretern und
solchen, die es werden wollen, zwar
nötig ist, aber nicht die ganze Breite
und Tiefe des liberalen Gedankengutes
erfassen kann. Naumann hatte
festgelegt: ‚Wir glauben nicht, dass
ein Parteiprogramm Grundlage eines Unterrichts sein kann,
der von werdenden Menschen aufgesucht wird.’ Seine Staatsbürgerschule
wollte nicht erreichen, dass ‚Leute einen politischen
Katechismus mit Forschheit aufsagen’. Parteischranken
sollte es hier nicht geben, er wollte mindestens ‚die Grenzgruppen
rechts und links zur Mitwirkung heranziehen’. Stets
sollte ‚gelernte Bildung auf der Grundlage des Historischen’
als Basis dienen.“ Um diese Absicht nicht in Vergessenheit
geraten zu lassen, ja, um ihr ein Forum zu schaffen, auf dem
die Fragen der Freiheit in Staat und Gesellschaft „kontradiktorisch“
geklärt werden sollten, gab Heuss der liberalen Stiftung
den Namen seines Lehrers und Mentors.

Freilich war anfangs keineswegs
klar, auf welchen Wegen diese Freiheit
erreicht werden könnte. Dies zeigte
sich zum Beispiel in der ersten großen
Konferenz, die von der Friedrich-Naumann-
Stiftung im April 1959 in Bad
Kreuznach veranstaltet wurde. Sie trug
den Titel: „Die geistige und politische
Freiheit in der Massendemokratie.“ In
den fünf Referaten der Tagung kamen
ganz unterschiedlichen Konzeptionen,
in der Bundesrepublik eine freiheitliche
Ordnung zu etablieren, zum Ausdruck. Theodor Litt, einer
der fünf Referenten, neigte, im Gegensatz zu klassischen
liberalen Positionen, zu einer staatsautoritären Konzeption,
zu der sich der Liberalismus nun, nach der Katastrophe der
Nazi-Herrschaft, bekennen müsse: „Der Staat ist nicht bloß,
wie etwa ein Kant (sic! – K.H.) meinte, das äußere Gehege,
durch welches das Leben der staatlichen Gemeinschaft vor
schädigenden Einflüssen geschützt wird. Der Staat ist ganz
wesentlich beteiligt an der inhaltlichen Ausfüllung des
gesamten Lebenszweckes, den ich mit den Worten geistiginhaltliches
Klima gemeint habe. (…) Und ich wiederhole,
soweit der Liberalismus geneigt war, in dem Staat lediglich
den Ordnungswächter zu sehen, bedarf es in der Tat einer
tiefgreifenden Korrektur.“
24 Jahre später, im Jahr 1983, kommentiert Ralf Dahrendorf,
damals Vorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung,
Litts Forderung wie folgt: „Nein, nein
und nochmals nein! In der Geschichte
des deutschen Liberalismus hat die
Umarmung des Staates eine besondere
Rolle gespielt. Sie war zumindest
für die Freisinnigen fast so etwas
wie der Prozeß, den die deutschen
Sozialdemokraten zwischen dem Godesberger
Programm von 1959 und
der Wehner-Rede mit dem Bekenntnis
zu Adenauers Außenpolitik von 1960 durchlaufen haben.
Wenn man mitmachen wollte, mußte man die Bedingungen
des Gegners akzeptieren. Dabei ist da in Deutschland allerdings
viel Metaphysik eingeflossen, der objektive Geist und
die Wirklichkeit der sittlichen Idee. So konnte es am Ende zu
jener äußersten Selbstverleugnung kommen, die Liberale veranlaßte,
ihre politische Organisationsform Deutsche Staatspartei
zu nennen. Ganz abgesehen von dem gefährlichen Flirt
mit der Unfreiheit, der in solchen Anbiederungsversuchen
liegt, kann die politische Rolle des Liberalismus in der Bundesrepublik
nicht die einer Staatspartei sein. (…) ihnen (den
Volksparteien – K.H.) gegenüber muß die F.D.P. die Partei des
Fragens, der Offenheit, der Phantasie, der Auflockerung, des
‚Elementar-Liberalismus’ sein. Das ist ein Ausdruck, den ich
von Friedrich Naumann (…) nehme.“
Positionen wie die der an Hegels Geschichtsphilosophie
orientierten Staatsrechtfertigung, die von Theodor Litt vertreten
wurde, waren seinerzeit durchaus keine Ausnahmen.
Auch der berühmte Ökonom Alexander Rüstow äußerte sich
auf der Bad Kreuznacher Tagung in ähnlicher Weise. Es ist
neben Heuss selbst vor allem den beiden ersten Vorsitzenden
der Friedrich-Naumann-Stiftung, Walter Erbe und Paul
Luchtenberg, zu verdanken, dass sie keine Gültigkeit für die
Arbeit der Stiftung und später der Theodor-Heuss-Akademie
erlangen konnten. Erbe stellte, ebenfalls in Bad Kreuznach,
mit seinem Beitrag „Liberalismus in heutiger Zeit“ eindeutig
klar, welche Position ein moderner Liberalismus einzunehmen
und dass er jeglicher Vereinnahmung durch den Staat zu
widerstehen habe: „Wenn ich eben dem Staat die Wahrung
des konfessionellen Friedens vindiziert habe, so zeigt das,
dass wir den Staat brauchen. Wir brauchen ihn ebenso zur
Verhütung fesselloser Konkurrenz und wir brauchen ihn zur
Verhinderung verantwortungsloser Monopolbildung. Und er
muß stark genug sein, um nicht von den anderen kollektiven
Mächten, den Interessenverbänden, überwältigt zu werden,
weil er sonst seine schiedsrichterliche Rolle im Kampf der
sozialen Gruppen nicht spielen kann. Zwar liegt die eigentliche
Drohung unserer Zeit im Zuviel an staatlicher Autorität:
angesichts der ausgeprägten Neigung der Deutschen, sich
regieren zu lassen, und der daraus für den Staat kommenden
Versuchungen, muß der Akzent stärker liegen auf der Freiheit
gegen den Staat. Es gibt auch die Gefahr des Zuwenig staatlicher
Autorität – sie ist eine Reaktion auf die Staatsvergötzung
und auf Übertreibungen der Lehre vom amoralischen
Staat. Der Liberalismus weiß, dass eine Demokratie mit einer
schwachen Regierungsgewalt eine schwache, ja kranke Demokratie
ist.“

 

Paul Luchtenberg, der Walter Erbe im Amt des Stiftungsvorsitzenden
nachfolgte, ließ niemals einen Zweifel daran,
dass liberale Politik im Geiste von Theodor Heuss sich an
der individuellen Freiheit und nicht an der Staatsräson zu
orientieren, der Staat dem Einzelnen gegenüber also eine
dienende Funktion habe. Dies findet seinen Ausdruck sowohl
in dem 1965 bei der Grundsteinlegung der Theodor-Heuss-
Akademie gehaltenen Referat über Theodor Heuss, das in
dieser Broschüre dokumentiert ist, als auch in vielen anderen
Äußerungen. Luchtenberg spricht von einem „geläuterten
Liberalismus“, der die richtige Position zwischen Freiheit des
Einzelnen und staatlicher Verantwortung gefunden habe. Auf
der Eröffnungsfeier der Theodor-Heuss-Akademie kleidete
der damalige Präsident der Liberalen Weltunion, Professor
Toxopeus aus Amsterdam, diese Position in folgende Worte:
„Der Liberalismus verträgt sich weder mit Klassenkampf – ein
heute von dogmatischen Sozialisten wieder häufig aufgegriffenes
Thema – noch mit Konservativismus. Ich möchte hier
gerne noch einmal betonen, dass die liberale Politik meiner
Meinung nach ihre gesamte Schlagkraft einsetzen muß,
um ein Klima zu schaffen, in dem der einzelne Bürger die
größtmögliche Chance hat, seine Zukunftserwartungen, die
er seiner Leistungsfähigkeit und Bildung gemäß hegen darf,
zu realisieren. Das nenne ich eine ausgesprochen progressive
Politik.“

 

Am 27. Dezember 1962, noch zu Lebzeiten von Theodor
Heuss, hatte der Vorstand der Friedrich-Naumann-Stiftung
den Beschluss zur Gründung der Theodor-Heuss-Akademie
gefasst. Schon im Jahre 1965, zur Grundsteinlegung für die
Akademie, hatte das Kuratorium der Stiftung „Thesen zu Aufgabe,
Tätigkeit und Organisation der Theodor-Heuss-Akademie“
verabschiedet. Darin wurden nicht nur die allgemeinen
personellen, technischen und organisatorischen Rahmenbedingungen
formuliert, sondern auch inhaltliche Grundsätze,
die als Grundlage für die Gestaltung der Veranstaltungsprogramme
dienen sollten. In diesen Grundsätzen wurde auch
das Verhältnis der Stiftungsarbeit zur Freien Demokratischen
Partei thematisiert, das für die nächste Zukunft, ja, bis in die
heutige Zeit, ein Diskussionsgegenstand bleiben sollte.
Zur „Zielsetzung“ heißt es in den Thesen unter anderem
wie folgt:
„Erste Aufgabe ist danach die für die deutsche Demokratie
lebensnotwendige Verbreitung sachlicher Information
über alle Bereiche des öffentlichen Lebens, besonders der
Innen- und Außenpolitik. Dies kann nicht im ‚akademischen
Stil’ geschehen, sondern nur nach den Methoden der
Volkspädagogik. Da jedoch nur eine sehr begrenzte Zahl
von Mitbürgern in der Akademie zu Gast sein kann (jährlich
höchstens 20.000 Übernachtungen – rd. 3.200 Teilnehmer),
ist dabei wie bisher vor allem auf ‚Multiplikatoren’ abzustel-
len. (…) Diese Information soll nicht wertneutral sein, sondern
zugleich den liberalen Geist vermitteln, der die Stiftung
trägt. Das schließt die unpolemische, aber klare Auseinandersetzung
mit anderen geistigen Strömungen innerhalb und
außerhalb der freien Demokratie ein. Die Akademie ist kein
Instrument der Parteipolitik, muß aber den demokratischen
Parteien und besonders jenen, die sich zum Liberalismus bekennen,
als entscheidenden Trägern der politischen Willensbildung
jederzeit offen sein.“

 

Interessant an dieser Formulierung ist vor allem, dass
sich die Kuratoren der Stiftung nicht nur an die in der Freien
Demokratischen Partei organisierten Parteimitglieder
richten wollten, sondern an alle in Parteien organisierten
Multiplikatoren, die sich zum Liberalismus bekannten. Damit
schlossen sie an die Absichten Friedrich Naumanns an, die
dieser schon (wie oben zitiert) für seine Staatsbürgerschule
im Sinn gehabt hatte. Es mag damit die Einschätzung verbunden
gewesen sein, dass es in der Bundesrepublik – wie
einst zu Weimarer Zeiten – mehrere liberale Parteien geben
könnte (zumal damals in der FDP eine lebhafte Diskussion um
Koalitionsfragen und den zukünftigen Kurs der Partei geführt
wurde und die Erinnerung an 1956, als sich die „Freie Volkspartei“
von der FDP abspaltete, durchaus noch virulent war).
Die Formulierung mag aber
auch lediglich der Tatsache
geschuldet sein, dass sich die
Friedrich-Naumann-Stiftung
und mit ihr die Theodor-
Heuss-Akademie im wesentlichen
aus öffentlichen Mitteln
speiste. Freilich wurde bald
zur Normalität im Alltag der
Akademie, dass sich Gremien
und Ausschüsse der Freien
Demokraten und keiner anderen
Partei dort als Gäste
aufhielten und das Haus als
Heimstätte des organisierten
Liberalismus angenommen wurde. Auch die Kommission zur
Erarbeitung der „Freiburger Thesen“ von 1971 tagte regelmäßig
in der Theodor-Heuss-Akademie. Die Diskussion darüber,
ob die Stiftung sich auch anderen Parteien öffnen müsse,
erledigte sich bald aufgrund der normativen Kraft des Faktischen.
Der liberale Geist hatte seine Heimat endgültig in den
Reihen der FDP gefunden.
Paul Luchtenberg war es, der mit seiner Rede über Theodor
Heuss am 8. Juli 1965 zur Grundsteinlegung der Akademie
endgültig den Weg wies, den die neue Bildungsstätte im
Geiste ihres Namenspatrons gehen sollte:
„’Die vielen Freiwilligkeiten sind die Heimat
und der Nährboden eines demokratischen
Lebensstils, nicht die Büros, in denen man
Befehle oder Anweisungen entwirft oder
empfängt oder weitergibt.’ Die Menschen
für diese demokratischen Freiwilligkeiten zu
gewinnen und sie für eine freiwillige Leistung
zum Segen des Ganzen vorzubereiten, gehört
für Theodor Heuss zu den vornehmsten
Anliegen einer Staatsbürgerschule.“
Was dazu im einzelnen von der Akademie und ihren Mitarbeitern
erwartet wurde, hatte wiederum das Kuratorium
der Friedrich-Naumann-Stiftung vorgegeben: „Vermittlung
von Sachwissen und liberalen Grundsätzen durch Veranstaltungen
der Jugend- und Erwachsenenbildung, insbesondere
durch Seminare für Deutsche und Ausländer; öffentliche und
nichtöffentliche Aussprache, um Begegnung und Kommunikation
zwischen Gruppen und Persönlichkeiten verschiedenster
Art und Herkunft zu fördern und zur Klärung wichtiger
Sachfragen beizutragen, vor allem durch öffentliche Arbeitstagungen
und nichtöffentliche Kolloquien; wissenschaftlich-
kritische Prüfung aller Fragen, die Geschichte und Gegenwart
des Liberalismus stellen, im Rahmen des geplanten
Forschungsinstituts der Stiftung, das in der Akademie seinen
ständigen Sitz haben soll.“

 

Diese Vorgaben können im wesentlichen auch in unserer
Zeit Gültigkeit beanspruchen, sieht man von der geplanten
Einrichtung eines Forschungsinstitutes ab. Dies kam bis heute
in der Akademie nicht zustande; dafür siedelte sich hier das
Archiv des Liberalismus an, über dessen Arbeit an anderer
Stelle in dieser Broschüre berichtet wird.
Schon am 5. Mai 1967 hatte die Theodor-Heuss-Akademie
mit ihrem „Ersten Akademie-Gespräch“ ihre Arbeit begonnen.
Im Jahr darauf wurde über die Veranstaltungen und
sonstigen Aktivitäten der neuen Bildungsstätte in der Akademie-
Zeitschrift „offene gesellschaft“ berichtet. Dort druckte
man wichtige Referate ab und fasste
die Ergebnisse der Seminare zusammen.
Später wurde eine Dokumentations-
Reihe aufgelegt, die Ergebnisse
und Materialien größerer Tagungen
publizierte. Besonders Seminare mit
grundsätzlicher Ausrichtung, zum
Beispiel im Februar 1982 zum Thema
„Kritischer Rationalismus und
politischer Liberalismus“, wurden
hier dokumentiert. Außerdem
wurden Ergebnisse der Akademie-
Arbeit in die allgemeinen Schriftenreihen der Stiftung aufgenommen,
so beispielsweise wichtige Beiträge nebst einer um-
fangreichen annotierten Bibliographie aus dem Symposium
„Alexis de Tocqueville – Zur Politik in der Demokratie“ von
1981 in die beim Nomos Verlag erscheinende Wissenschaftliche
Reihe.

 

Am 1. Oktober 1968 wurde der Schriftsteller
Rolf Schroers vom Vorstand der
Stiftung als Akademie-Direktor bestellt.
Schroers war seit 1965 Chefredakteur
der von der Stiftung herausgegebenen
Monatszeitschrift „liberal – Beiträge zur
Entwicklung einer freiheitlichen Ordnung“
und hatte sich als kritischer Publizist im
literarischen Leben der Bundesrepublik
einen Namen gemacht. Bücher wie „Der
Partisan“ oder „Der Trödler mit den Drahtfiguren“ hatten dem
Mitglied der Gruppe 47 literarische Preise eingebracht und
ihren Autor im deutschen Feuilleton etabliert. Von Schroers
erhoffte man sich sowohl Kontinuität in der grundsätzlichen
Ausrichtung der Akademie-Arbeit, aber auch neue Impulse
und angemessene Reaktionen auf die von der Studentenbewegung
geprägten politischen Diskussionen in Deutschland
und der Welt.

Zwar hat sich Rolf Schroers der Veranstaltungsarbeit
durchaus im Sinne des Vorstandes gewidmet und die Akademie
in den häufig ideologisch aufgeheizten Debatten der
sechziger und siebziger Jahre auf Ideologiekritik und auf
rationale, argumentative Auseinandersetzung mit den Fragen
der Zeit verpflichtet; dies wird unter anderem in einem Zitat
aus dem Jahr 1975 deutlich, das einem umfangreichen Essay
über „Liberale Politik“ entnommen ist: „Wir werden streitbar
bleiben für eine Erziehung zu kritischer Rationalität, zu einer
Erziehung, die befähigt, Fragen zu stellen und nicht auf
Antworten abrichtet. Und wir werden streitbar bleiben gegen
die, die vorgeblich antiautoritär nur noch gezinkte Fragen
zulassen, die wie Groschen aus dem Automaten ideologische
Verkündungen abrufen.“ Allerdings fällt auf, dass er die
Auseinandersetzung mit der Freien Demokratischen Partei
und den Stellenwert, den ihre Politik für die Arbeit der Akademie
haben sollte, immer wieder in den Vordergrund seiner
Überlegungen rückt. Wenn er in einem Bericht aus dem Jahr
1974 („Auftrag der Theodor-Heuss-Akademie“) Folgendes
schreibt: „Nachweislich des Echos in der Publizistik (…)
leistet die Theodor-Heuss-Akademie ständig Dienste bei
der Wachhaltung des ‚Vorfeldes’ an der liberalen Ideenentwicklung.
Die Aufgabe und die Möglichkeiten der Akademie
richten sich selbstverständlich vorwiegend auf sogenannte
Multiplikatoren“, so ist damit die oben zitierte Vorgabe des
Kuratoriums erfüllt, dass nämlich die Akademie kein Instrument
der Parteipolitik sein und sich insbesondere an Multiplikatoren
wenden solle.

 

Schroers fügt indessen hinzu, dass das Programm der
Akademie unter Beteiligung politischer Vertreter der FDP
zustandekomme und fährt fort: „Die Teilnehmer kommen
durchweg mit der Erwartung, sei es sich über programmatische
Positionen der F.D.P. zu aktuellen Problemen zu orientieren,
etwa zu den Positionen der Freiburger Thesen, oder sie
kommen mit der Erwartung, ihre Erfahrungen und Interessen
in die politische Entscheidungsfindung wirksam hineingeben
zu können.“ Dies führt ihn zu folgendem Resümee: „Letzte
und nicht unwichtigste Aufgabe der Akademie ist der Austrag
von Entscheidungsfindungsprozessen
innerhalb
der Partei: seit mehreren
Jahren vor allem das
wechselseitige Verständnis
zwischen den liberalen
Jugendorganisationen
und der F.D.P., das Spannungsfeld
Liberalismus
– Sozialismus mit seinen
theoretischen Anforderungen
und die Belebung
liberaler Ansätze an den
Universitäten, die zum
Teil ein liberales Potential
beherbergen, das sich
jenseits der Partei und
ohne unmittelbares Interesse
seitens der Partei
entwickelt. Gerade für
den letzteren Fall ist die
Legitimation der Arbeit der Theodor-Heuss-Akademie durch
legitimierendes Interesse der F.D.P. besonders wichtig. Das
seit einem Jahr angelaufene Stipendienprogramm mit dem
Netz von Vertrauensdozenten, das sich jetzt für alle Universitätsorte
der Bundesrepublik ausbildet, erlaubt starke
praktische Hoffnungen für die Vertiefung hier bisher kaum
genutzter Kontakte. – Die Theodor-Heuss-Akademie ist also
vornehmlich eine Stätte geistiger Auseinandersetzungen mit
dem politischen Liberalismus und für den politischen Liberalismus,
an der sich auch europäische Liberale immer wieder
beteiligen. Die Bedeutung eines geistigen Interesses für die
Partei kann unseres Erachtens gerade in der gegenwärtigen
Entwicklungsphase kaum überschätzt werden.“
Den unbefangenen Chronisten mag dabei überraschen,
dass entgegen der ursprünglichen Konzeption von Kuratorium
und Vorstand der Stiftung nun doch die Fixierung auf
die Parteipolitik der FDP im Vordergrund stehen soll – bis hin
zum „Austrag von Entscheidungsfindungsprozessen
innerhalb der
Partei“. Zwar relativiert Schroers
diese Ausrichtung der Arbeit ein
wenig, wenn er von der Akademie
als einer „Stätte geistiger Auseinandersetzungen
mit dem politischen
Liberalismus“ spricht, jedoch
bleibt der Eindruck, dass das grundsätzliche
Selbstverständnis der
Veranstaltungsarbeit sich in Richtung
einer inhaltlichen Festlegung
auf die Programme der FDP verengt
hat. Dies mag seinen Grund darin gehabt haben, dass nach
dem schwachen Wahlergebnis der FDP von 1969 (5,8 %) der
Schulterschluss aller liberal Organisierten
geboten schien, jedoch behält
Schroers diese Linie auch bei, als sich
die Position der Partei bei den späteren
Wahlen in den siebziger Jahren wieder
verbessert hat. Dabei dient ihm
auch die Zeitschrift „liberal“, die ab
1973 zum Teil auch die Funktion der
danach nicht mehr erscheinenden
„offenen gesellschaft“ übernimmt,
als Instrument parteipolitisch ausgerichteten
intellektuellen Engagements.
Nur nebenbei sei angemerkt, dass schon zu Beginn der
siebziger Jahre eine Diskussion in der FDP ihren Anfang
nahm, die darüber spekulierte, ob man die Akademie nicht
besser veräußern und stattdessen eine andere Tagungsstätte
in der Nähe von Bonn erwerben solle, die den tagespolitischen
Interessen der Partei besser dienlich sein könne.
Vermutlich wollte Schroers mit seiner ambitionierten Hinwendung
zur FDP auch dieser Diskussion begegnen und den
entsprechenden Absichten gegensteuern.

Rolf Schroers blieb bis 1981 Direktor der Akademie, bevor
er krankheitsbedingt ausscheiden
musste. Es gelang ihm, die Programme
sowohl den Erwartungen der Partei
anzugleichen als auch ihre Relevanz
für die intellektuelle Diskussion,
für die „kontradiktorische Klärung
schwebender Fragen“ in der Bundesrepublik
zu bewahren. Dies nicht nur
durch den inhaltlichen Anspruch der
Seminararbeit, sondern auch durch
das Ansehen seiner Person. Bei seiner
Verabschiedung am 16. Februar 1981
sagte der damalige Kuratoriumsvorsitzende der Stiftung, Otto
Graf Lambsdorff, über Schroers: „Die Arbeit und die Erfolge
dieses Hauses insgesamt wären ohne ihn und sind ohne ihn
undenkbar. Er hat hier das geistige Fluidum geprägt, ein Fluidum,
das sich auszeichnete und auszeichnet durch Toleranz,
durch Liberalität, aber auch durch den Sinn für Verantwortung.
(…) Aber soviel darf ich sagen, dass Rolf Schroers, für
mich jedenfalls, das Musterbeispiel eines Intellektuellen ist,
der nie den Bezug zur Realität verloren hat und dennoch
Raum für schöpferische Phantasie ließ.“
In seiner Entgegnung umriss Schroers mit wenigen Sätzen
seine grundsätzlichen Positionen, die auch heute noch ungeschmälert
Geltung beanspruchen können: „Freiheit und Verantwortung
sind politisch unteilbar. Es wächst das sich radikalisierende
Bedürfnis nach Freiheiten, die sich unter allen
möglichen Vorgaben der persönlich zurechenbaren Verantwortung
entziehen, und im Gegenzug wächst eine gepanzerte
Verantwortung, die sich – als Gehorsam – ihrem humanen
Ursprung, der Freiheit, entzieht. Legalismus, Bürokratismus
sind die Stichworte. Für die freiheitliche Auseinandersetzung
um die Wirkungskraft freiheitlichen Bürgersinnes darf diese
Antinomie nicht hingenommen werden. – Die Theodor-
Heuss-Akademie hat es immer mit der Entideologisierung
zu tun und damit, der Macht ihre Argumente für die Freiheit
und nicht nur für ihre Durchsetzungsfähigkeit abzufordern.
Das verlangt Autorität, die eine Form der Selbstachtung ist.
Unter uns gesprochen, die Form liberaler Persönlichkeit.“

 

Im Amt des Direktors der Akademie folgte Rolf Schroers
Wolfgang Heinz nach, der aus der aktiven Politik in die Veranstaltungsarbeit
der Stiftung wechselte. Seine Antrittsworte
waren Programm: „Die politische Jugend- und Erwachsenenbildung
der Liberalen beschränkt sich nicht auf Konzepte,
Theorien und abstrakte Darstellung von Fakten und politischen
Möglichkeiten; sie ist vielmehr handlungsorientiert und
auf politisches Engagement ausgerichtet. (…) Rolf Schroers
verdanke ich vor allem dies: Die Theodor-Heuss-Akademie war
in all diesen Jahren der Vorbereitung auf aktive Politik und des
Mandats die geistige Heimstatt, das liberale Mutterhaus.“
Im Jahre 1982 wurde Professor Ralf Dahrendorf vom Kuratorium
der Stiftung zum Vorstandsvorsitzenden gewählt.
Von dem international renommierten Soziologen und Direktor
der „London School of Economics and Political Science“ sollten
mit Blick auf den Koalitionswechsel in Bonn sowohl eine
Konsolidierung der Stiftungsarbeit gewährleistet als auch
neue inhaltliche Impulse gegeben werden. Ab 1984 übernahm
Dahrendorf auch die Herausgeberschaft der Zeitschrift
„liberal“, die eine neue inhaltliche Konzeption erhielt und
auf vierteljährliches Erscheinen umgestellt wurde. Für jedes
Heft wurde nun ein Schwerpunktthema festgelegt, das aus
unterschiedlichen Blickwinkeln von Autoren und Autorinnen
mannigfacher politischer Richtungen
behandelt werden sollte. Gleichzeitig
sollten die Schwerpunkte
der Zeitschrift sich auch in der
Veranstaltungsarbeit der Stiftung
wiederfinden.
Im Jahre 1983, aus Anlass des
25jährigen Bestehens der Stiftung,
äußerte sich Dahrendorf zu
seiner grundsätzlichen Vorstellung von der Stiftungsarbeit:
„Die Friedrich-Naumann-Stiftung ist eine liberale Stiftung.
Das heißt auch, dass alle, die in ihr arbeiten, ein Interesse
daran haben, dass liberale Ideen praktisch durchgesetzt
werden. Die Naumann-Stiftung hat eine special relationship
zum organisierten Liberalismus. Aber in ihren Einrichtungen,
in der Theodor-Heuss-Akademie, bald auch auch im Margarethenhof,
in Seminaren und öffentlichen Veranstaltungen,
in ihren Forschungsprojekten und ihren Publikationen, darunter
vor allem in der Zeitschrift ‚liberal’ (die ich selbst ab
Anfang 1984 als Herausgeber und Chefredakteur übernehmen
werde), wird auch in Zukunft das Unvertraute gesagt,
das Unbequeme erörtert, werden Wege nach vorne gesucht,
die im politischen Prozeß selbst unerkundet bleiben und
unter den hier dargestellten Bedingungen unerkundet bleiben
müssen.“

 

Diese Aussage macht deutlich, dass der neue Vorsitzende
sich sowohl der Angewiesenheit auf die Akzeptanz des
Bildungsangebotes durch die FDP, der „special relationship“,
bewusst war, aber auch Themen auf die Agenda der Bildungsangebote
setzen wollte, die nicht in den Prioritäten liberaler
Parteipolitik zu finden waren. Damit wagte er einen Spagat,
der indessen zu gelingen schien. Beide Absichten, die Orientierung
am Programm des organisierten Liberalismus und die
Artikulation des „Unbequemen“, ließen sich deutlich an den
vier Schwerpunktthemen der „liberal“-Hefte des Jahrgangs
1984 ablesen: „Die geistige und politische Freiheit in der
Massendemokratie“ (als Rückgriff auf die traditionellen Lini-
en der Stiftungsarbeit); „Der Zustand der deutschen Parteien“
(als kritische Bestandsaufnahme); „Was tun wir in den Entwicklungsländern?“
(als Auseinandersetzung mit der internationalen
Stiftungsarbeit); „Wende in der Wirtschaftspolitik?“
(als Kommentierung des Kurses des FDP in der neuen Koalition).

 

Die Autoren der Schwerpuntthemen repräsentieren ein
erstaunlich breites Meinungsspektrum: Von dem ehemaligen
68er Rebellen Bernd Rabehl bis hin zu einem Wertkonservativen
wie Hans Maier waren Intellektuelle vertreten, die in der
Tat ganz unterschiedliche Auffassungen zu ihren jeweiligen
Themen zu Papier brachten.
Die Praxisorientierung der Stiftungsarbeit, die schon von
Rolf Schroers besonders betont worden war, hob auch Dahrendorf
immer wieder hervor. Zum Beispiel im Jahre 1985 aus
Anlass der 125. Wiederkehr des Geburtstages von Friedrich
Naumann: „Ideenlose Machtausübung widerspricht an sich
schon dem demokratischen Prinzip der Entfaltung des Menschen
in die offenen Horizonte der Zukunft. Ein Nachdenken,
das nicht an Durchsetzung und Umsetzung interessiert ist,
hat zwar seinen guten Sinn, aber eben an Universitäten
und nicht in politischen Stiftungen. Unsere Themen, unser
Stil, sogar unsere Zeithorizonte sind also durchaus an den
Bedürfnissen der politischen Praxis orientiert. Das ist nicht
die Alltagspraxis, wohl aber die der über den Tellerrand der
Legislaturperiode hinausweisenden Linien und Richtpunkte
des Handelns.“
In der Theodor-Heuss-Akademie wurden diese Akzentsetzungen
des Vorsitzenden durchaus nachvollzogen. Zwar
waren hier nicht immer dieselben Schwerpunktthemen maßgeblich,
wie sie Dahrendorf zum Beispiel für die Zeitschrift
„liberal“ festlegte, jedoch wurde sowohl die Orientierung
am organisierten Liberalismus als auch das Vorausdenken in
grundsätzlichen Fragen in den Seminarangeboten deutlich.
Was die inhaltlichen Schwerpunkte angeht, so kann man
für die achtziger Jahre neben der Beschäftigung mit grundsätzlichen
Fragen des Liberalismus zwei mit besonderem
Engagement behandelte Themen identifizieren: Die Dialektik
von Ökonomie und Ökologie sowie die Bedeutung ethischer
Fragestellungen in der Politik. Im letzteren Bereich spielte die
Auseinandersetzung mit Max Webers Unterscheidung von
Gesinnungs- und Verantwortungsethik eine besondere Rolle,
aber auch die kritische Rückschau auf Vertreter des Anti-Liberalismus,
etwa auf Carl Schmitt. Auch die Besinnung auf
die ursprünglichen Absichten des Namenspatrons Theodor
Heuss wurde nicht vernachlässigt: Einer großen Wanderausstellung
über den Politiker Heuss folgte eine weitere über
„Theodor Heuss als Zeichner“.
Zwei Zitate aus Berichten vom Oktober 1986 über die
Arbeit in der Akademie mögen die beiden Stränge – einerseits
Orientierung an liberaler Parteipolitik, andererseits
Vorausdenken in grundsätzlichen Fragen – verdeutlichen. Sie
stammen beide vom damaligen Akademiedirektor Professor
Manfred Schleker. Zum Grundsätzlichen: „Da aber Naumann
in seiner Staatsbürgerschule nicht erreichen wollte, dass
‚Leute einen politischen Katechismus mit Forschheit aufsa-
gen’ (…), war die Theodor-Heuss-Akademie auch Prüfstand
für neue Ideen und Impulse im Dialog zwischen Wissenschaft,
Publizistik, Kultur und liberaler Politik – ein vor allem
in unserer Republik sehr mühsamer Dialog, weil es immer
noch sehr schwierig scheint, das Erkenntnisinteresse der Wissenschaftler
mit dem Verwertungsinteresse der Adressaten
– der Funktions- und Mandatsträger zum Beispiel – in Übereinstimmung zu bringen.“
Und zur Partei-Orientierung: „Die Theodor-Heuss-Akademie
ist (…) ‚die gewiß aufwendigste und weithin bekannteste
Einrichtung einer politischen Stiftung mit einem eigenen
politischen Profil’. (…) Aus der Theodor-Heuss-Akademie
kommen (…) häufig auch ‚Denkanstöße zur Erneuerung der
F.D.P.’ (…) Die Theodor-Heuss-Akademie ist also nicht nur in
der Intention der Friedrich-Naumann-Stiftung, sondern auch
durchaus im Verständnis der Öffentlichkeit eine Stätte geistiger
Auseinandersetzung mit dem politischen Liberalismus
und für den politischen Liberalismus.“ Mit dieser Formulierung
nimmt Schleker die Worte auf, die schon Rolf Schroers
für die Ausrichtung der Akademie-Arbeit auf Belange der
liberalen Partei benutzt hatte und stellt so eine Kontinuität
dar, die in der Tat spätestens seit Mitte der siebziger Jahre
die Programme der Akademie geprägt hat und bis heute
prägt. Dies um so mehr, als mit der immer wichtiger werdenden
Zielgruppe der Stipendiaten und Altstipendiaten der Stiftung
eine Klientel entstanden ist, die für die kritische Auseinandersetzung
mit liberaler Politik und konkreten liberalen
Programmen besonders aufgeschlossen war und ist.
Am 13. September
1992 sprach der damalige
Vorsitzende der Stiftung,
Wolfgang Mischnick, auf
einer Veranstaltung zum
25jährigen Jubiläum der
Akademie über „Erziehung
zur Demokratie“. In
einem Bericht über sein
Referat heißt es: „Die
Theodor-Heuss-Akademie
habe sich, so
Mischnick, in den 25
Jahren ihres Wirkens
einen respektablen
Platz im Spektrum der
politischen Jugendund
Erwachsenenbildung
in Deutschland
geschaffen. (…) Bei
genauerem Hinsehen
aber entdecke man, dass die leitende Idee der ‚Staatsbürgerschule’,
die hinter der Heuss-Akademie und der gesamten
Friedrich-Naumann-Stiftung stehe, von Friedrich Naumann
bereits im Jahre 1917 konzipiert wurde, also vor nunmehr 75
Jahren. Mischnick: ‚Wenn wir heute das 25jährige Wirken der
Theodor-Heuss-Akademie feiern, so sollten wir zugleich der
75 Jahre gedenken, die die Idee der Staatsbürgerschule nun
alt ist. – Mit dieser Akademie wurde 1967 wieder an 1917
angeknüpft.’“
Der Rückgriff auf Friedrich Naumann, von Wolfgang
Mischnick immer wieder ins politische Spiel gebracht, zeigt
die Absicht des Stiftungsvorstandes, auch in Zeiten, die für
das sozialliberale Gedankengut Naumanns eher ungünstig
waren, die ursprüngliche Zielsetzung nicht zu vergessen.
Insofern stellen die bis heute in der Theodor-Heuss-Akademie
angebotenen Seminare zur Geschichte und zu den Grundlagen
des Liberalismus eine Kontinuität dar, die im Geiste ihres
Namensgebers von der Stiftung auch in Zeiten gewahrt wurde,
die anderen Facetten des liberalen politischen Spektrums
eher zugewandt waren. Freilich wurden die veränderten Akzentsetzungen
und Prioritäten des organisierten Liberalismus
auch in den Programmen der Akademie deutlich. Ein stärker
an der politischen Ökonomie ausgerichtetes Verständnis
liberaler Politik wurde auch in den Seminaren der Theodor-
Heuss-Akademie vermittelt. Die marktwirtschaftlichen Ordnungsvorstellungen
der Freiburger Schule und die Theorien
eines Friedrich August von Hayek oder Ludwig von Mises
wurden neben der Gedankenwelt von Friedrich Naumann,
Karl-Hermann Flach oder Ralf Dahrendorf fester Bestandteil
in den zu den Grundlagen des Liberalismus angebotenen
Veranstaltungen.

 

1995 wurde Otto Graf Lambsdorff, der viele Jahre dem
Kuratorium der Stiftung als Mitglied und als Vorsitzender
angehört hatte, zum Vorstandsvorsitzenden des Stiftung gewählt.
Er setzte deutliche Akzente für die Schwerpunkte der
Arbeit im Inland und im Ausland. Mit einer parteiübergreifend
besetzten Kommission entwickelte er Vorstellungen für
eine zeitgemäße Föderalismus-Reform in Deutschland, die in
den Medien ausführlich zur Kenntnis genommen und meist
positiv gewürdigt wurden. Dies Thema mit all seinen Implikationen
fand Eingang in die Veranstaltungsarbeit der Stiftung
und wurde von Publikationen begleitet, die sowohl die Ergebnisse
der Kommissionsarbeit als auch Stellungnahmen zur
Föderalismus-Debatte von liberalen Autoren und Fachleuten
aus der Wissenschaft enthielten.
In der internationalen
Stiftungsarbeit legte Graf
Lambsdorff hohen Wert auf die
Behandlung von Menschenrechtsfragen.
Besonders intensiv
engagierte er sich persönlich
für die Rechte des von China
besetzten Tibet und nahm dabei
auch in Kauf, dass der Stiftung
deshalb die Arbeit in der Volksrepublik
China untersagt wurde.
Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft
waren die beiden
wichtigsten Bereiche, die Lambsdorff
in der Auslandsarbeit der
Stiftung mit Priorität belegte.
Dies spiegelte sich in den Veran-
staltungen im Inland. Auch das
Programm der Theodor-Heuss-Akademie war in den Jahren
von 1995 bis 2006, in der Zeit des Vorsitzes von Graf Lambsdorff,
davon geprägt.

 

Mit dem Vorsitz von Graf Lambsdorff kehrte eine gewisse
Kontinuität in die Veranstaltungsarbeit der Theodor-Heuss-
Akademie ein. Es schälten sich Themenstränge heraus, die bis
heute eine durchgängige Linie, einen roten Faden in den Programmen
bilden. Es sind vor allem drei Bereiche, die in jedem
Jahr wiederkehren:
Die Seminare zu den Grundlagen und zur Geschichte
des Liberalismus, die insbesondere für die Stipendiaten der
Stiftung, aber auch für allgemein an liberaler Politik Interessierte
aus allen Kreisen der Bevölkerung angeboten werden;
Veranstaltungen zu politischen Fertigkeiten wie Rhetorik,
Strategisches Planen und Veranstaltungsmoderation, die
besonders auf Kommunalpolitiker und Parlamentskandidaten
zugeschnitten sind; und schließlich Seminare zu außenpolitischen
Themen, etwa die Politisch-Kulturellen Wochenenden,
die jeweils die Situation in einem bestimmten Partnerland
zum Thema haben. (Im letzten Bereich sind durch die Arbeit
der „Internationalen Akademie für Führungskräfte“ Veranstaltungen
hinzugekommen.) Bei den Zielgruppen werden nach
wie vor besonders Multiplikatoren angesprochen; außerdem
sind immer stärker geeignete Kooperationspartner etwa aus
dem wissenschaftlichen oder aus dem Bereich von Verbänden
und politischen Organisationen ins Boot geholt worden. Im
übrigen wurde die Akademie-Arbeit seit Beginn des dritten
Millenniums stärker als früher mit der gesamten Stiftungsarbeit
verknüpft. Die vom Vorstand vorgegebenen Schwerpunktthemen
gelten nun gleichermaßen für die gesamte
Veranstaltungsarbeit – im Inland wie im Ausland.
In einem Positionspapier aus dem Jahr 2005 wird die
inhaltliche Arbeit der Theodor-Heuss-Akademie wie folgt
aufgegliedert: Ein Fünftel der Seminare zu Themen im Rahmen
der Geschichte und der Grundlagen des Liberalismus;
ein Viertel zu den politischen Schwerpunkten, die alle vier
Jahre vom Vorstand der Stiftung neu beschlossen werden; ein
weiteres Viertel zu den Politischen Fertigkeiten; der Rest sind
Veranstaltungen zu aktuellen Themen, die zum Beispiel von
den Arbeitskreisen der Stipendiaten entwickelt werden.
In dem Papier heißt es außerdem: „Einerseits sollten wir
uns auf die Tradition besinnen. Auch wenn das Wort von Joachim
Ritter hinlänglich bemüht worden ist: Zukunft braucht
Herkunft. Wir fangen nicht bei Null an, sondern wir können
von einer langjährigen Erfahrung ausgehen, die viele positive
Aspekte hat.“ Und weiter: „Wir arbeiten nicht losgelöst vom
politischen Geschäft, sondern mitten darin. Dabei dürfen wir
unsere Anstrengungen freilich nicht auf die Fragen kurzfristiger
Tagespolitik beschränken, sondern wir müssen sie in
einen sowohl inhaltlich als auch zeitlich weitergefaßten Rahmen
stellen. Und wir dürfen nicht vergessen, unserer Klientel
Antworten auf diese Fragen anzubieten, also liberale Position
zu beziehen.“ Auch in den letzten Jahren sind also nach wie
vor die beiden generellen Ausrichtungen des Akademie-Programms
festzustellen: auf der einen Seite die Behandlung
allgemeinpolitischer Fragestellungen mit liberalem Bezug,
auf der anderen Seite eine Orientierung an der aktuellen
Programmatik des organisierten Liberalismus.
Besonderen Wert legt das Positionspapier freilich auf das
eigenständige, erkennbare Profil der Akademie-Arbeit und der
gesamten Bildungsarbeit der Stiftung im Inland:
„Übrigens dürfen und wollen wir uns dabei nicht wie
eine wertfreie Volkshochschule verstehen. Es kann nicht die
Aufgabe der liberalen Stiftung sein, sich ohne Ansehen politischer
Prioritäten an alle Bürger und Bürgerinnen in unserer
Gesellschaft zu wenden. Damit würden unsere Anstrengungen
nur ohne Resultat verpuffen. – Wir müssen diejenigen
suchen und finden, die mit liberalen Werten etwas Positives
verbinden, auch wenn sie nicht liberal organisiert sind. Wir
müssen also in erster Linie sogenannte liberale Milieus erreichen
oder begründen.“

Das Bildungsbürgertum und der Mittelstand gehören
gewiß nach wie vor dazu, aber auch all jene, die neuen Entwicklungen
aufgeschlossen gegenüberstehen und die sich an
der Gestaltung unserer Gesellschaft aktiv beteiligen wollen.
Wo wir diese Milieus finden, ist von Region zu Region,
von Ort zu Ort unterschiedlich. Wichtig ist, dass wir uns zielgerichtet
darum bemühen. Allerdings müssen unsere Angebote
allen Interessierten grundsätzlich offenstehen.“
Mit dieser Aufgabenstellung ist die Arbeit der Theodor-
Heuss-Akademie eindeutig verortet. Es geht um eine klar positionierte
weltanschauliche Grundlage, um den politischen
Liberalismus, der das Fundament für die Veranstaltungsarbeit
bildet. Die Ausrichtung der Arbeit ist dadurch, gemessen an
den oben dargestellten Absichten früherer Jahre, politischer
geworden. Die Akademie stellt sich eindeutig mit ihren
Bildungsangeboten der Konkurrenz zu anderen politischen
Richtungen. Das didaktische Prinzip der „kontradiktorischen
Klärung“ hat sie dabei nicht aufgegeben.
Dazu heißt es im Positionspapier: „Sie (die Absicht der
Ideologiekritik – K.H.) fußt auf bester liberaler Tradition: nicht
ideologisch indoktrinieren zu wollen, sondern kritisch zu fragen,
rational miteinander umzugehen und Toleranz zu zeigen
im Austausch von Argumenten. Aber auch entschieden und
streitbar zu sein, wenn es um die Auseinandersetzung mit
denjenigen geht, die wohl Toleranz von Andersdenkenden
einfordern, selbst aber nicht bereit sind, Toleranz zu üben.“
Im April 2006 wurde Wolfgang Gerhardt zum neuen
Stiftungsvorsitzenden gewählt. Schon bald kündigte er eine
Fokussierung der Stiftungsarbeit auf den Begriff der Freiheit
an. Unter dem Namen „Friedrich-Naumann-Stiftung für die
Freiheit“ wird sie zukünftig ein spezielles Marketing für ein
freiheitliches Politikverständnis entwickeln. Dies wird auch
die Arbeit der Theodor-Heuss-Akademie prägen und den bisherigen
Jahresringen andersartige neue hinzufügen. In einem
Aufruf zur Gründung einer Freiheitsgesellschaft formuliert
Gerhardt, was für ihn die Ausrichtung auf die Freiheit bedeutet:
„Wir werben für den Aufbruch in einem Land des Stillstandes.
Wir stehen für private Initiative und Selbstständigkeit.
Wirtschaftlich, gesellschaftlich und persönlich wird die
Fähigkeit zur Verantwortung der entscheidende Erfolgsfaktor
zu Beginn des neuen Jahrtausends sein. Mitwirkung läuft
nur über Freiheit. Sie stirbt unter Zwang. Nur mehr Freiheit
bringt unserem Land die Kraft zurück, die wir für künftigen
Wohlstand, für mehr Gerechtigkeit und für ein erfolgreiches
Deutschland in der Welt brauchen. Wir brauchen sie gerade
jetzt. Die Freiheit darf kein vergessenes Ideal werden.“